Seil? Check! Klettergurt und Kletterschuhe? Check! Helm? Check! Expressschlingen? Check!
Die Ausrüstung ist komplett! Los geht die Fahrt zum Klettergarten Hängender Stein in Nüziders. Es ist ein relativ frischer Vormittag im Juni. Die letzten Tage war das Wetter trocken und auch heute bleibt der Himmel wolkenlos – beste Voraussetzungen für einen Tag voller Kletterspaß also.
Mit dem Auto geht es von Bludenz aus nach Nüziders. Bei Anfahrt über die Walgaustraße ist das bekannte „Köpfle“ – eine ausgesetzte Felsformation, die sich nach vorne hin von der Felswand abhebt und dem Klettergarten den Namen „Hängender Stein“ verleiht – schon von weitem zu sehen. Wer genau hinschaut erkennt auf der Spitze des „Köpfles“ eine kleine Fahne. Mehrere Kletterrouten führen dort hinauf, jedoch reicht eine Seillänge nicht aus. Hier führen nur Mehrseillängen-Routen hin.
Ich parke mein Auto auf dem Parkstreifen auf der rechten Seite der Straße direkt beim Klettergarten. Meine zwei Begleiterinnen Anna und Angelina erwarten mich schon. Beide sind erfahrene Sportkletterinnen und waren auch im Klettergarten Hängender Stein schon öfters unterwegs. Heute darf ich mich ihnen als Anfängerin anschließen.
Anders als bei einem Klettersteig, gibt es beim Sportklettern im Klettergarten kein fix verankertes Stahlseil zur Sicherung und auch keine Steighilfen. Die verschiedenen Routen in den Sektoren des Klettergartens werden durch in der Felswand verankerte Bohr- und Klebehaken vorgegeben. Ein eigenes Kletterseil, Expressschlingen und das nötige Know-How zur Sicherungstechnik beim Klettern sind also ein Muss.
Zum Glück habe ich meine zwei Expertinnen dabei! Und diese beruhigen mich gleich zu Anfang: „Keine Sorge. Wir fangen mit einer ganz leichten Route an.“ Die meisten Routen des Klettergartens kann man von der Straße aus gar nicht sehen. Nur das Köpfle ragt prominent hervor – der Großteil befindet sich jedoch im Wald. Insgesamt sind es über 250 Routen, die sich auf das natürliche Felsband verteilen. Da ist für wirklich jeden was dabei – vom Anfänger bis hin zum Kletterprofi. Da es keine ausführliche Beschilderung gibt, ist es auf jeden Fall ratsam sich eine Topo zu besorgen – also eine grafische Darstellung der Routen, die auch wichtige Informationen wie Schwierigkeitsgrad, Länge, erforderliche Sicherungsmittel u.v.m. beinhaltet. Solche Topos findet man zum Beispiel in Kletterführern oder in Apps. Für einige Klettergärten sind diese auch im Internet frei zugänglich.
Für meine erste Erfahrung im Klettergarten müssen wir zuerst in einen der hinteren Sektoren laufen. Wir folgen also dem Weg in Richtung Ludesch bis wir den Einstieg der Route „Kurs“ erreichen. Der niedere Schwierigkeitsgrad macht diese kurze Route ideal für Anfänger. Den Vorstieg überlasse ich dennoch Angelina. Nachdem sie die Expressschlingen und das Seil an die Haken angebracht hat und von Anna abgelassen wurde, bin ich an der Reihe. Bevor es ab an die Felswand geht, bekomme ich nochmal eine genaue Einführung in die Sicherungstechnik. Dazu lerne ich, wie man den doppelten Achterknoten bindet. Mithilfe dieses Einbindeknotens wird das Sicherungsseil an meinem Klettergurt befestigt. Gar nicht so einfach, diesen nach der ersten Demonstration nachzumachen. Nach drei Anläufen klappt es aber und ich bin gut gesichert. Nach dem Partnercheck erfolgt der Einstieg in den Felsen.
Beim Toprope-Klettern erfolgt die Sicherung über das Seil, das beim Vorstieg bereits in einen Haken, der sich über dem Kletternden befindet, eingefädelt wurde. Da die Seilspannung so von oben kommt, ist diese Art des Sportkletterns besonders risikoarm und erlaubt es auch, dass man sich bei Erschöpfung oder Ermüdung ins Seil hängen kann. Also perfekt für jemanden wie mich, der noch nicht allzu viel Klettererfahrung hat.
Anfangs bewege ich mich zaghaft und noch etwas unsicher. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Erfahrungen in Klettersteigen gesammelt habe, ist es etwas befremdlich für mich meinen eigenen Weg im Gestein finden zu müssen – ganz ohne Steighilfen. Manchmal rutsche ich ab oder verliere meinen Griff. Aber: Mit jedem geglückten Klettermanöver und jedem dazugewonnenen Höhenmeter bewege ich mich selbstbewusster. Natürlich hilft es auch, dass ich mich voll und ganz auf Anna und Angelina verlassen kann, die mir Tipps und Anweisungen zurufen, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Ihre roten Helme sind mittlerweile schon deutlich kleiner geworden. Die Höhe ist zwar nichts gänzlich Neues für mich, dennoch bekomme ich beim Blick nach unten ein leicht flaues Gefühl im Magen. Aber mein Ehrgeiz und die Motivation die Felswand zu bezwingen sind stärker. Und schon bin ich oben – das ging schneller als gedacht. Nun folgt jedoch noch das Ablassen. Dazu muss ich mich mit meinen Füßen von der Wand abstoßen und mit meinem ganzen Körpergewicht in den Klettergurt sitzen. Ein wahrer Vertrauensakt, denn nun hänge ich komplett im Seil. Zuerst fällt es mir schwer meinen Griff aufzugeben und mich voll und ganz auf die Kletterausrüstung und meinen Sicherungspartner zu verlassen. Unten angekommen merke ich jedoch gleich: Das will ich nochmal machen.
Also geht es weiter zur nächsten Route. Diese trägt den schönen Namen „Wanderfalke“ und hat einen Schwierigkeitsgrad der Stufe 4 – also auch für Neulinge wie mich noch machbar. Ich schaffe es ohne größere Zwischenfälle nach oben – ebenfalls wieder per Toprope-Klettern. Dieses Mal versuche ich meine Griffe und Schritte besser zu koordinieren und ich merke, dass ich schon etwas mutiger bin.
Nun soll es etwas anspruchsvoller werden, meinen Anna und Angelina. Wir begeben uns zur Route „Betthupferl“ – ein Name, der keine allzu große Herausforderung vermuten lässt. Aber der Einstieg hat es in sich. Dank der Unterstützung meiner Begleiterinnen meistere ich aber auch diese Hürde nach einigen Anläufen. Der erste Abschnitt hat mich wirklich gefordert aber zum Glück wird die Route danach deutlich leichter.
Langsam merke ich jedoch, dass meine Finger, Arme und Beine etwas müde werden. Es erfordert einiges an physischer und geistiger Kraft sich in der Felswand zu bewegen – vor allem als Anfängerin.
Dennoch möchte ich noch unbedingt das Mehrseillängen-Klettern ausprobieren. Diese Art des Sportkletterns wird angewandt, wenn eine Seillänge nicht ausreicht, um den Kletterer bis an das Ziel der Kletterroute zu sichern, da mehr als die Länge eines Kletterseils – meistens zwischen 50 und 80 Meter Seil – nötig ist. Nach einer kurzen Erholungs- und Trinkpause geht es also weiter zur Route „Kräuterführe“. Diese wird von Einsteigern gerne dazu verwendet die Mehrseillängen-Technik zu üben.
Das MSL-Klettern erfordert kompliziertere Sicherungstechniken, die ich noch nicht beherrsche. Deshalb werde ich heute nur als „Mitkletterer“ mit dabei sein und niemanden sichern. Wie bereits bei den anderen Kletterrouten übernimmt Angelina den Vorstieg und bringt Seil und Expressschleifen an die Haken an, während Anna sie von unten sichert. Anders als bei den vorhergehenden Kletterrouten wird sie jedoch nicht abgelassen, sondern sie sichert sich selbst an einem sogenannten „Stand“. Zumeist besteht dieser aus mehreren Haken, die mit einer Kette verbunden sind. Nun kann sie uns am Boden gebliebenen von oben herab nachsichern. Da wir zu dritt klettern, klettern wir nun mit zwei Halbseilen, anstatt einem Einfachseil. So können zwei Personen zeitgleich mit ein paar Metern Sicherheitsabstand von oben nachgesichert werden. Halbseile sind etwas dünner als ein Einfachseil und werden im Doppelpack verwendet.
Nachdem sie uns durch Zurufen Bescheid gibt, dass wir nun nachkommen können, begebe ich mich in die Felswand. Anders als bei den vorhergehenden Kletterrouten werde ich nun jedoch von oben gesichert. Auf dem Weg nach oben hänge ich die beim Vorstieg angebrachten Expressschlaufen aus. Anna startet mit etwa 5 Meter Abstand ebenfalls hoch. So bewegen wir uns als Dreierseilschaft die Kletterwand hoch. Während erfahrene Kletterer sich beim Mehrseillängen-Klettern nach Erreichen des Ziels meist selbst abseilen, werde ich zur Sicherheit von oben abgelassen. Für die anderen geht es in mehreren Abseillängen wieder Richtung Boden.
Für mich geht der Klettertag damit zu Ende. Die Kraft in Armen und Fingern lässt nach und ich spüre eine angenehme Erschöpfung. Vermutlich wird sich am nächsten Tag der ein oder andere Muskelkater bemerkbar machen. Es war ein tolles Erlebnis und hat wirklich Spaß gemacht. Wenn man sich erst mal an die Höhe und das Ablassen gewöhnt hat, kann man das Klettern im Klettergarten richtig genießen. Ein Erlebnis, das Lust auf mehr macht.
Zum Abschluss beobachte ich Anna und Angelina noch beim Besteigen des „Köpfles“ – dem Highlight im Klettergarten Hängender Stein. Zwar handelt es sich bei einer der Routen auf das Köpfle rein technisch gesehen um eine Anfängerroute, allerdings erfordert diese komplette Schwindelfreiheit und die nötige Kondition, um es bis nach oben zum Fähnchen zu schaffen. Fasziniert sehe ich den beiden zu, wie sie sich Stück um Stück nach oben hanteln. Ich werde bestimmt wiederkommen und in naher Zukunft hoffentlich auch den wunderbaren Ausblick vom „Köpfle“ genießen können. So schnell wird der Fels mich nicht mehr loslassen.
Jedem, der nun auch neugierig geworden ist und eine neue sportliche Herausforderung sucht, kann ich den Klettergarten Hängender Stein nur empfehlen. Die große Auswahl an Routen in allen Schwierigkeitsgraden mit dem „Köpfle“ als Highlight machen den Klettergarten einzigartig. Auch die Möglichkeit des Mehrseillängen-Kletterns – auch für Anfänger – wird bei weitem nicht in jedem Klettergarten geboten.
Ganz wichtig: Anfänger sollten immer mit einem erfahrenen Kletterer, der die Sicherungstechniken bestens beherrscht und über die nötige Erfahrung verfügt, unterwegs sein. Der Alpenverein und selbstständige Bergführer bieten für Interessierte oft Schnupper-Kletterkurse oder geführte Klettertouren auf Anfrage an.
Der Klettergarten Hängender Stein ist ein talnaher Klettergarten auf dem Gemeindegebiet von Nüziders, der sich aus 17 Sektoren zusammensetzt. In diesen gibt es insgesamt 260 Kletterrouten zu entdecken, die bis auf 100 Meter Höhe reichen. Die Mehrheit der Routen bewegt sich dabei zwischen den Schwierigkeitsgraden 6+ bis 7+ aber es sind auch Routen für richtige Kletterprofis und Anfänger vorhanden.
Der Klettergarten ist einer der ältesten, größten und abwechslungsreichsten Klettergärten in Vorarlberg. Direkt vor dem Klettergarten befindet sich von der Dorfmitte Nüziders über die Walgaustraße kommend ein Parkstreifen auf der rechten Seite. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen möchte, fährt mit dem Zug am besten den Bahnhof Ludesch an. Von hier aus sind es 10 – 15 Minuten zu Fuß bis zum Klettergarten.
Die Benutzung des Klettergartens ist das ganze Jahr über möglich. Bei Nässe und Schnee ist allerdings Vorsicht geboten. Im März und/oder April wird der Klettergarten aufgrund der jährlichen Felsräumungsarbeiten kurzfristig gesperrt. Die Brutplätze von felsbrütenden Vogelarten in den höheren Lagen sollten in den Monaten von März bis Juni gemieden werden – die entsprechenden Routen sollten in dieser Zeitspanne nicht beklettert werden.
Autorin: Katharina Feuerstein
Quelle: Lindemann, Stefan (2020), Sportkletterführer Vorarlberg, 3. Aufl., Panico Alpinverlag
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